ICD 11 – was ist neu?

Die ICD-11

International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems”, zu Deutsch und vereinfacht: „Internationale Klassifikation der Krankheiten“.

Seit Anfang 2022 ist die ICD-11 veröffentlicht und wird nun mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren implementiert. Die neue ICD unterscheidet sich schon rein optisch, was an der neuen Kodierung liegt. Zudem wurden die Unterteilungen der Störungen verändert. Auf der Webseite https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/_node.html kannst Du die Entwurfsfassung der deutschen ICD-11 anklicken und gelangst zur eigentlichen ICD. Diese wird, anders als die ICD-10 nur noch online angeboten und ist mit einer entsprechenden Suchfunktion ausgestattet. Vermutlich wird es aber in den entsprechenden Verlagen auch Literatur mit den entsprechenden Diagnoserichtlinien geben.

Was also ist neu in der ICD-11? Hier ein kurzer Überblick:

Die psychischen Störungen werden weitestgehend unter dem Punkt 6 abgehandelt. Dort heißt es „Psychische Störungen, Verhaltensstörungen oder neuronale Entwicklungsstörungen“.

Weiterhin sind die Schlafstörungen in Kapitel 7 klassifiziert, in Kapitel 17 wiederum sind die sexuellen Funktionsstörungen und auch die Genderinkongruenz hinterlegt. Dies wurde in der ICD-10 unter Transsexualität geführt. Diese beiden Kategorien werden in Kapitel 6 übrigens auch angezeigt, allerdings ausgegraut. Damit wird angezeigt, dass diese Kategorien zwar auch zu den psychischen Störungen gehören, aber eben an anderer Stelle klassifiziert sind.

Ebenso sind noch die 21 „Symptome oder klinische Befunde, anderenorts nicht klassifiziert“ und 24 „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen oder zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ wichtig. Hier finden sich zusätzliche Informationen wie „Symptome oder klinische Befunde, die die Psyche oder das Verhalten betreffen“, diese können mit dem entsprechenden Code dann kombiniert werden. Man kann hier z.B. Punkte finden wie „Problematik in Verbindung mit drohendem Arbeitsplatzverlust oder auch die verlängerte Trauerstörung.

Wird beispielsweise eine soziale Phobie (6B03) ermittelt, kann diese ergänzt werden mit einer Panikattacke als Begleitsymptom (MB23.H). Das nennt sich hier Postkoordination.

Eine Auswahl an zur Verfügung stehenden Zusatzdiagnosen wird beim Anklicken der Störung unter der Überschrift Postkoordination auch angezeigt.

Auch kann der Schwergrad einer Erkrankung durch einen Extension-Code ergänzt werden. Diese Zusatzkriterien befinden sich in der Rubrik X (für eXtension)

Änderungen in den Krankheitsbildern

Die Störungen werden nicht mehr in Altersklassen unterteilt, in denen sie auftreten. So sind Störungen, die in der ICD-10 dem Kindesalter zugeordnet waren nun in den Erwachsenenkapiteln untergebracht.

Bei den Persönlichkeitsstörungen hat man auf die bisherige Unterteilung verzichtet und man kann jetzt die Schwere der Ausprägung bestimmen. Durch eine Postkoordination kann allerdings eine Tendenz der PS ausgewählt werden.

 

So kann eine mittelgradige PS diagnostiziert werden (6D10.1 Mittelgradige Persönlichkeitsstörung) mit einer negativistischen Einstellung (6D11.0 Negative Affektivität bei Persönlichkeitsstörung oder -problematik). Die Codierung wäre dann 6D10.1/6D11.0.

Es wurden zudem neue Krankheitsbilder aufgenommen, wie z.B. die körperdysmorphe Störung, die Hoarding  Störung (Dinge horten – Messie-Syndrom) oder die Binge-Eating-Störung.

Der Burnout wird nun als Berufsphänomen (QD85) und nicht als ein medizinischer Zustand verschlüsselt.

Ausgliederung von Schlaf-Wach- und Sexualstörungen

Die „Störungen der Geschlechtsidentität“ und die „Schlafstörungen“ sind nicht mehr bei den psychischen Störungen angesiedelt, sondern in den separaten neuen Kapiteln: 17 „Bedingungen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit“ und 7 „Schlaf-Wach-Störungen“

Störungen, die spezifisch Stress-assoziiert sind

Die „Akute Belastungsreaktion“ wird im Kapitel 24 eine (QE84) verschlüsselt.

Die ‚Anhaltende Trauerstörung‘ (6B42) ist eine neue Diagnose, welche eine chronifizierte Trauerreaktion nach dem Tod einer nahestehenden Person (vor mindestens 6 Monaten) verschlüsseln kann.

Bei der ‚Posttraumatischen Belastungsstörung‘ (PTBS, 6B40) hat sich u.a. das Traumakriterium verändert; neu wird in der ICD-11 auf die subjektive Komponente des Traumakriteriums („… die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde“) verzichtet und lediglich die objektive Komponente belassen („Ereignis oder Serie von Ereignissen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß“).

Eine neue Diagnose ist die ‚Komplexe PTBS‘. Damit diese Diagnose gestellt werden kann, müssen (neben der Erfüllung des Traumakriteriums) die PTBS-Kriterien erfüllt sein (d.h. Wiedererleben, Vermeidung, anhaltende Bedrohungswahrnehmung), sowie Symptome aus drei weiteren Bereichen (Schwierigkeiten in der Regulierung von Emotionen, überdauerndes negatives Konzept des Selbst, Beziehungsschwierigkeiten). Die Komplexe PTBS präsentiert sich klinisch als ein heterogenes Störungsbild, welches gemäß neuster Untersuchungen keine Alters- und Geschlechtsunterschiede aufzeigt (Maercker et al., 2018) und sich von einer Persönlichkeitsstörung mit Borderline Muster (welche sich klinisch ähnlich präsentieren kann) als separates Störungsbild sinnvoll abgrenzen lässt (Maercker, 2021).

Fazit: Die ICD 11 ist komplexer geworden, bietet aber auch differenziertere Möglichkeiten der Diagnose und auch der Auswertung durch die WHO. Für die Überprüfung wird sich erst einmal nichts ändern, zumal die Übersetzung und die entsprechenden Diagnosen noch nicht zur Verfügung stehen.

Durch die Bereitstellung der ICD in der Onlineversion mit einer guten Suchfunktion ist der Gebrauch nach recht kurzer Zeit möglich und es lohnt, einmal hereinzuschauen.